SBB Historic, Extrafahrt zum 100jährigen Jubiläum der Schweizer Krokodile

 

Teil 1 – Von Erstfeld nach Bellinzona

Von Reinhard Schüler

 

Der heutige Tag beginnt zu früher Stunde mit dem Ertönen des Weckers und zwar um 04.45h! Vorsichtig öffne ich die Augen und blicke auf Vitrinen voller Modellbahnen. Ein Traum? Nein, ich bin zu Gast in der Schweiz!

Aus dem Wohnzimmer verbreitet sich Kaffeeduft. Schnell zwei Becher, möglichst stark. Und dann geht es los. Um 05.36h bringt uns ein Trolleybus zum Bahnhof in das Zentrum der einstigen Schweizer Industriestadt. Von hier reisen Peter Brühwiler und ich mit planmäßigen Zügen; Umstieg in Rotkreuz im Kanton Zug, westlich des Zugersees gelegen.

Nach Durchfahrt von Arth-Goldau und Schwyz erreichen wir kurz nach dem Bahnhof des Ferienortes Brunnen den Übergang vom Vierwaldstättersee in den Urnersee. Am gegenüberliegenden Ufer befindet sich übrigens der bekannte Mythenstein, welcher 1904 zum Schillerstein umbenannt wurde, um den deutschen Dichter Friedrich Schiller für das „Wilhelm Tell“-Drama zu ehren. Unser Zug folgt dem Streckenverlauf entlang des Ostufers des Urnersees bis Flüelen und weiter durch das Reusstal zum ersten Etappenziel, dem Eisenbahnerort Erstfeld am Fuße einer der bedeutendsten europäischen Alpenquerungen. Bei Rynächt kurz vor Erstfeld passieren wir noch das Nordportal des neuen Gotthard-Basistunnels.

Das Wetter ist nur mäßig schön an diesem Morgen und sogar nicht passend für ein großes Jubiläum von Lokomotiven, die weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt wurden. Nicht zuletzt auch durch die Modellbahnindustrie, die über Jahrzehnte immer wieder und in allen Maßstäben mit ihren kleinen Krokodilen Generationen von Modellbahnern begeisterte.

Wir nähern uns nun dem Bahnhof von Erstfeld und sind sichtlich gespannt auf die erste Begegnung mit den Krokodilen. Am Hausbahnsteig ist unser Sonderzug bereits bereitgestellt. An der Zugspitze wartet das eigentliche Geburtstagskind, die vor hundert Jahren von der Maschinen- und Lokomotivfabrik Oerlikon für die Schweizer Bundesbahn gebaute Ce 6/8 II – 14253 im edlen braunen und schwarzen Farbkleid. Es ist das erste Mal, dass ich ein braunes Krokodil mit eigenen Augen sehe!

Am anderen Ende des Bahnsteiges warten aber noch die etwas jüngeren Geschwister aus dem zweiten Baulos, die Be 6/8 III – 13302 und die Ce 6/8 III – 14305, beide in grün. Die „14305“ traf ich übrigens wenige Wochen zuvor schon in Göppingen anlässlich der Märklin Tage. Schön die Lok hier in ihrer Heimat heute fahrend zu erleben.

„13302“ und „14305“ rangieren gemeinsam aus dem Depot und umfahren unseren Sonderzug, um sich dann vor die stolze Älteste der Familie zu setzen. Nun ist der Sonderzug zum 100jährigen Jubiläum der Schweizer Krokodile komplett und wartet auf die letzten Fahrgäste und fleißigen Fotografen zur Fahrt über die Gotthard Panoramastrecke nach Bellinzona in das schöne Tessin im italienischsprachigen Teil der Helvetischen Konföderation.

Peter hatte für uns die Fensterplätze 21 und 22 in Wagen 9 reserviert, einem ehemaligen zum Salonwagen umgebauten EW II Personenwagen. Hier saßen wir nun in unseren Clubsesseln und warteten auf die Abfahrt. Dies war nicht irgendeine Abfahrt, nein es begann mit einer beeindruckenden akustischen Pfeiff-Ouvertüre der Personale der markanten gelenkigen Stangenloks zu einer ganz großen Oper auf Schienen.

Die Krokodile ziehen an. Vorbei geht es an unzähligen Videofilmern und blitzenden Kameras von Fotografen zu beiden Seiten unseres Zuges. Auch entlang der gesamten Strecke sehen wir viele Eisenbahnfreunde unter Regenschirmen, unter vor Nässe schützenden Dachvorsprüngen oder Brückenbauwerken.

Der Regen nimmt leider weiter zu und die schwachen Lichtverhältnisse zwingen uns zum Fotografieren bei unvorteilhaften Kameraeinstellungen mit zu erwartender Körnung und eingeschränkter Qualität der Bilder. Nicht das, was man sich an einem solchen Tag wirklich wünscht.

Mittlerweile quert unser Zug zahlreiche Talbrücken und durchfährt immer wieder kürzere und längere Tunnel bis wir hinter Gurtnellen in den Pfaffensprung-Kreiskehrtunnel einfahren und erstmals auf unterer Ebene die Kirche von Wassen passieren. Als nächstes durchfahren wir den Leggistein – Kehrtunnel und kommen auf mittlerer Ebene wieder vorbei an Wassen vorbei. Nach verlassen des Wattinger-Kehrtunnels blicken wir nochmals von oben auf den Kirchturm und gewinnen noch stetig weiter an Höhe.

Nach dem Anstieg auf der Gotthard-Nordrampe hält unser Zug nun in Göschenen und die Lokpersonale nutzen die Zeit zur Prüfung der Stangen und Lager und zum Ölen aller Schmierstellen, so sorgsam wie bei Dampflokomotiven. Von der Spitze des Zuges kann ich die Nordportale des rund fünfzehn Kilometer langen Scheiteltunnels fotografieren und natürlich die Loks. Peter gelang eine Aufnahme entlang des führenden Krokodils mit Tunnelportal im Hintergrund. Dann zwang uns der Regen zur Aufgabe und die Kameras unter den Jacken vor Wasser zu schützen.

Nach einem erneuten Reigen der Lokpfeiffen setzen wir unsere Reise fort und fahren in den Tunnel ein. Zeit das Fenster zu öffnen, um ein paar Minuten die Fahrgeräusche und den Klang der Stangenantriebe zu genießen!

Nach zwei Drittel der Tunnellänge erreichen wir bei Streckenkilometer 80,89 die Kantonsgrenze zwischen Uri und Tessin und fahren unmittelbar nach Ausfahrt in den Bahnhof von Airolo im Valle Leventina ein. Die Südseite der Alpen begrüßt uns mit tiefhängenden Wolken, die jeden Blick auf die Berge um uns herum verhindern und so gar keine mediterrane Stimmung vermitteln können. Schnell ein paar Fotos schießen und ab in den trockenen Wagen.

Jetzt beginnt auf dem vor uns liegendem Streckenabschnitt der Abstieg auf der Südrampe bis Bodio, den ich auf der Rückfahrt beschreiben möchte.

In Bodio wartet eine rote Re 4/4 II auf uns. Diese Lok ist erforderlich, da auf dem Abschnitt Bodio-Bellinzona nur Lokomotiven mit den Einrichtungen für das European Train Control System (ETCS) verkehren dürfen. Der Ausbau-Abschnitt bis Bellinzona gehört zur Neubau-Magistrale des Gotthard-Basistunnels und wird neu nach dem Führerraum-Signalisierungs-Prinzip überwacht und gesteuert. Dazu dient das hier ETCS, eine Art Autopilot bei Verzicht auf klassische Blocksignale und Fahren im festen Raumabstand.

Nun haben wir also vier Lokomotiven vor dem Zug und eilen wegen der in Bodio entstanden Verspätung der Stadt Bellinzona entgegen. Hier haben wir Aufenthalt und hätten eigentlich genug Zeit für einen Abstecher in die Stadt. Leider verhindert der nicht enden wollende Regen einen kurzen Spaziergang, so dass wir im Bahnhof die Rückfahrt abwarten müssen.

Fotostrecke: © Archiv Peter Brühwiler, © Archiv Reinhard Schüler

In Ergänzung zur eigenen Berichterstattung möchten wir auf zwei ausgewählte Videos zu unserer Extrafahrt aufmerksam machen :

„100 Jahre Gotthard Krokodil“

Ein Video von Nicolas Leutenegger, eingestellt auf Bahnonline.ch und YouTube. Spielzeit: 19:49 min

Das Video zeigt die Bereitstellung des Extrazuges in Erstfeld, enthält Szenen der Bahnhofsdurchfahrten und Streckenmotive entlang der Nord- und Südrampe,  Parallelfahrt mit einem moderen Stadler Flirt-Triebwagen auf der Rückfahrt, die Zugkreuzung mit dem Gotthard Panorama Express in Lavorgo. Das Video endet mit Aufnahmen vom Einrücken der Krokodile in das Depot Erstfeld.

„100 Jahre Krokodil – Dreifachtraktion am Gotthard“

Ein Video von „Grufti200“, eingestellt auf Bahnonline.ch und YouTube. Spielzeit: 10.48 min

Das Video beginnt mit der Durchfahrt durch den Bahnhof von Amsteg-Sirenen. Der Fotograf begleitet den Zug mit interessanten Aufnahmen in Wassen, Airolo, Quinto, dem Pianotondo Viadukt und Abstieg bei Biaschina bis Claro und zurück bis Amsteg-Silenen. Der Film zeichnet sich durch viel Einstellungen mit fester Brennweiten und ohne Kameraschwenks aus.

„Grufti200“ merkt an: „Leider spielte das Wetter nicht mit und bescherte uns Dauerregen im Tessin sowie ISO-1600-Wetter. Meine Schuhe waren noch zwei Tage nach der Fahrt nicht getrocknet.“

Das „ISO-1600-Wetter“ verlangt eine Überprüfung der Fotos und Änderungen der Kameraeinstellungen. Der Kameramann scheint noch nicht zufrieden zu sein …

Fotos: Peter Brühwiler